Emmanuel Guibert – Martha & Alan

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

Emmanuel Guibert: Martha & Alan

Edition Moderne, gebunden

Emmanuel Guibert: Martha & Alan

Martha und Alan: Heimweg nach der Schule im Sonnenlicht
(mit freundlicher Genehmigung der Edition Moderne)

Zu Beginn dieses Monats wurde an dieser Stelle die furios gelungene Graphic Novel »Alans Kindheit« vorgestellt, die der französische Comic-Zeichner Emmanuel Guibert auf der Basis von mündlichen, sehr lebendigen Erzählungen eines in Frankreich lebenden Amerikaners namens Alan Cope geschaffen hat. Es werde ein Nachtrag dazu folgen, hieß es im Blogbeitrag, und diesmal beschäftigen wir uns mit einem weiteren Kapitel aus Alans Kindheit, das darin eine Geschichte für sich darstellt und deshalb einen eigenen Band füllt. Es ist bereits der dritte Teil der Zusammenarbeit von Guibert und Cope.

Martha & Alan“ erzählt die Geschichte einer Kinderfreundschaft, vielleicht eine Art Kinderromanze, mit all dem Unschuldigen, Ungeformten, Unwissenden, aber auch mit dem vermeintlich Selbstverständlichen, das oft im Kindsein liegt. Die beiden lernen sich in der Schule kennen, als sie fünf Jahre alt sind. Sie verbringen beinahe unzertrennlich ihre Kindheit im Kalifornien der späten 30er und frühen 40er Jahre miteinander. Wenn sie nach der Schule zusammen sind, klettern sie auf Bäume, erfreuen sich an der Schaukel im Garten von Marthas Eltern, ersinnen sich Spiele und singen gemeinsam im Kirchenchor. Cope erzählt von der Alltagswelt der beiden einfach, undramatisch und lebenswahr – und derart plastisch und poetisch, dass es fesselnd ist.

Emmanuel Guiberts hinreißende Zeichnungen nehmen im Strich den Illustrationsstil und in der Farbgebung die Filmfarben jener Zeit auf. Sie sind durchweg großformatig gehalten und strahlen in satter Technicolor-Anmutung. Fast durchweg wird jede Doppelseite von einem einzigen Bild gefüllt. Eine schnell zu lesende Graphic Novel ist „Martha & Alan“ dennoch nicht. Der Leser würde sich seines Vergnügens berauben, wenn er nicht beim Betrachten länger verweilte und sich von den dichten Atmosphären gefangen nehmen ließe. Die Komposition der Erzählung ist stimmig und durchdacht, die Details sind prächtig und präzise recherchiert in Szene gesetzt. Alles wird zugleich auf seinen einfachsten wie schönsten Punkt gebracht.

Alan Cope ist um die siebzig Jahre, als er Guibert von Martha im Rückblick nach vielen Jahrzehnten erzählt, und wir erfahren als Leser auch die Nachgeschichte der beiden. Doch kein Wort darüber. „Martha & Alan“ ist zauberhaft, und der Leser sollte sich dieser Graphic Novel ohne Vorwissen nähern.

Eingeleitet wird sie durch ein großes historisches Foto, ein Gruppenbild des Kirchenchors, in dem Martha und Alan als Kinder Mitglied waren. Man sieht eine Vielzahl Jungs und Mädchen in weißen Roben und mit Kerzen in der Hand. Wer von ihnen mag Alan, welches Mädchen mag Martha sein? Dass Cope und Guibert es nicht verraten und dass wir es nicht herausfinden können, gehört mit zur Aussage der Geschichte.

MICHAEL KLEIN

Emmanuel Guibert – Alans Kindheit

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

Emmanuel Guibert: Alans Kindheit

Edition Moderne, gebunden

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie es zur Entstehung eines Buches kommt, aber eher ungewöhnlich ist, wenn der Beginn in einer simplen Frage nach dem Weg besteht. Der französische Comic-Zeichner Emmanuel Guibert (»Der Fotograf«, »Ariol«) hatte sich auf der Ile de Ré an der französischen Atlantikküste verlaufen und fragte einen Einheimischen, wie er zurück finde. Daraus ergab sich ein Gespräch, aus dem Gespräch ergab sich ein weiteres Treffen, aus dem weiteren Treffen ergaben sich immer neue und schließlich die Idee zu einem gemeinsamen Projekt.

Emmanuel Guibert, Alans Kindheit, CoverDer Einheimische war im Grunde nur ein halber Einheimischer, denn er war Amerikaner, mit Namen Alan Cope, damals 69 Jahre alt. Guibert mochte von Beginn an Copes lebendige Erzählweise, und die nahe liegenden Erkundigungsfragen – warum verbringt ein Amerikaner seinen Lebensabend an der französischen Atlantikküste? – führten Cope rasch zu Erinnerungen aus seiner Lebensgeschichte. Guibert war fasziniert, von Copes einfacher, aber präziser Art ebenso wie von der Fülle der Erinnerungen, die sich lebensnah und spannend vor seinen Augen entfalteten. Guibert war schließlich derart gepackt, dass er Copes Talent und sein eigenes zusammenführen wollte: in einer Graphic Novel, die Copes Erzählton beibehalten und durch seine, Guiberts, Zeichnungen ergänzen sollte.

Um es gleich zu sagen: Es war eine hervorragende Idee, die Kombination furios gelungen. Text und Bilder gehen eine Einheit ein, die künstlerisch voller Bescheidenheit ist – d.h. ohne jedes Blendwerk, ohne Getue, ohne falsche Gefühle oder behauptete Dramen – und in ihrer Wahrheit und unprätentiösen Schönheit berührend und überzeugend. Insgesamt drei Graphic-Novel-Bände sind auf diese Weise entstanden, »Alans Kindheit« ist nach »Alans Krieg« der zweite von ihnen.

Cope, 1925 geboren, wuchs in den 30er Jahren in Kalifornien auf, und er erzählt von den Dingen, die seine Kindheit ausmachten, von den Kleinstädten mit ihren Holzhäuserreihen, von den Ausflügen nach Long Beach an endlosen Landschaften aus Ölbohrtürmen vorbei, von den Pfefferbäumen mit ihren langen Ästen, die Trauerweiden-artig bis zum Boden hängen und die man ohne Schwierigkeiten zu Schaukeln verknoten kann. Er erzählt von Familientreffen, bei denen es Leckereien gibt und bei denen man als Kind mysteriöse, unvollständige Einblicke in die Lebensgeschichten der anderen mit ihren freudigen oder dunklen Seiten bekommt, von Freuden und Tragödien des Alltags, von Spielen und dem Hauch erster Romanzen.

Meistenteils berichtet Alan Cope nichts Spektakuläres, sondern Alltagsgeschichten – und man folgt ihm gebannt. Die Erzählweise ist einerseits schlicht, andererseits voller überraschender, atmosphärisch dichter Einzelheiten. Und nah am Leben. Guibert hat fabelhaft recherchiert, er muss endlos historische Fotos aus dem Kalifornien der Zeit studiert haben, um Copes Erzählungen derart brillant und detailreich in begnadet ausdrucksstarke, realistische SW-Zeichnungen umsetzen zu können. Da überzeugt jeder Strich.

(Kleiner Vorausblick: In Kürze gibt es an dieser Stelle noch einen Guibert-Alan-Nachtrag.)

MICHAEL KLEIN