Von der Kritik beleuchtet: Joseph Conrads und Ford Madox Fords „Die Natur eines Verbrechens“

„Die Natur eines Verbrechens“ von Joseph Conrad und Ford Madox Ford ist in seiner deutschen Erstausgabe inzwischen seit gut einem Vierteljahr erhältlich, und die Bewohner der Jackson Insel freuen sich, dass das Buch Resonanz findet.

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, CoverDie zeitlich erste Kritik – zumindest die zeitlich erste Kritik, die die Ufer der Jackson Insel erreichte – erschien in der Februarausgabe des Wetzsteinbriefs, dem monatlichen Bücherempfehlungsmagazin der gleichnamigen Freiburger Buchhandlung. „Ein eigenwilliger, kleiner Roman“, befindet Susanne Bader in ihrem Fazit, „rätselhaft und faszinierend.“ Und: „Aufschlussreich sind die angehängten Dokumente einer schwierigen, dennoch produktiven Zusammenarbeit von zwei großen Autoren.“

Mit einem interessanten Auftakt beginnt die am 19.2. eingestellte Kundenrezension von Franz Joachim Schultz auf den Seiten von Amazon: „Ein ganz vertracktes Stück Literatur. Zuerst dachte ich, das könnte von Henry James stammen.“ Das überrascht im ersten Moment, leuchtet im nächsten aber sofort ein. In der Tat: Angenommen, man wüsste lediglich, dass Ford ein Buch zusammen mit einem anderen Autor verfasst habe, aber nicht, wer es gewesen sei – man würde angesichts der Anlage des Werks Henry James mindestens ebenso sehr vermuten können wie Joseph Conrad. Das Buch unter diesem Aspekt zu lesen, ist ein zusätzlicher kluger Ansatz. Schultz schließt mit den Worten: „Ich verspreche: An diesem Text werden Sie Ihre Freude haben.“

„Die Geheimkammern der Literatur sind immer noch reich gefüllt mit hierzulande bisher Ungehobenem“, beginnt am 2. März Andreas Platthaus seine Kritik in der F.A.Z. und eröffnet seinen Text mit einem Erwartungshorizont; im Grunde möchte er einen unbekannten Joseph-Conrad-Roman lesen, am liebsten ein Abenteuer a la „Lord Jim“ oder „Herz der Finsternis“. Das ist nur zu verständlich, insbesondere einen zweiten Lord Jim würden wir alle gerne lesen. Eingangs beschreibt Platthaus das Buch tatsächlich als „Joseph-Conrad-Roman“, es ist jedoch eben das Werk zweier Autoren und, wie der Buchrücken erklärt, ein Bekenntnisbuch. Bevor wir zu Andreas Platthaus’ Einschätzung kommen, seien – aus gleich ersichtlichen Gründen – die letzten Zeilen des Buchnachworts zitiert: „Die Natur eines Verbrechens ist nicht die späte Entdeckung eines verschollenen Meisterwerks, aber aus dem Kurzroman glitzern die Möglichkeiten hervor, als Leser bekommen wir über einzelne Strecken hinweg viel Kohlestaub, aber auch ihn sehen wir schon vorgepresst und können ermessen, dass die Möglichkeit zu Diamanten in ihm lag, von deren Aussehen wir eine bereits halb vage, halb schon geformte Vorstellung bekommen.“ In seiner Bewertung befindet Andreas Platthaus, „dieser gehobene Schatz“ – das Werk der beiden Autoren – „ist eher literarisches Katzengold“. Das grundsätzliche Urteil ist, bis hin zur Wahl der beschreibenden Metapher, also nicht weit voneinander entfernt, jedoch mit unterschiedlichem Fokus. Katzengold glänzt und glitzert übrigens nicht weniger als echtes Gold und besitzt zudem den schönen Vorteil, dass es sich jeder leisten kann. Auch lässt Platthaus die Möglichkeit offen, dass sich durchaus echtes Gold hineingemischt haben könnte, denn er schreibt „eher“ und nicht „gewiss“. Der Satz, mit dem er die Essenz seiner Kritik stimmig auf den Punkt bringt, lautet: „Psychologisch betrachtet ist Die Natur eines Verbrechens ein faszinierendes Buch; stilistisch indes fehlt all das, was sowohl Conrads als auch Fords einzeln verfasste Werke auszeichnet: Anschaulichkeit und Spannungsaufbau.“ Dieses Urteil ist völlig legitim, es gäbe aber auch Gegenargumente. Denn es ist keineswegs so, dass Conrad und Ford uns die Psychologie des Protagonisten abstrakt erklären, sondern dass sie sich der Leser im Verlauf des Werks langsam erschließen muss, was zwangsläufig auf eine innere Spannungsführung hindeutet; und nimmt man diese erschlossenen Erkenntnisse dann in eine zweite Lektüre mit, stellt sich zudem ein beträchtliches Mehr an Anschaulichkeit ein, weil sich zunächst disparat erscheinende Aussagen plötzlich in einem anderen Licht erklären.

In seiner ausführlichen Kritik in der Leipziger Zeitung fächert Ralf Julke kompetent und engagiert die zahlreichen Aspekte des Werks auf und unterstreicht vor allem, dass der von Ford und Conrad analysierte Protagonist ein Typus der Moderne ist, dessen Schilderung und Durchleuchtung bis heute nichts an Aktualität verloren hat: „Herzlich willkommen in der Gegenwart. Der Typus ist nicht ausgestorben, im Gegenteil. Unsere ganze Gesellschaft ist davon durchdrungen. Das ist das beklemmend Gegenwärtige an der Geschichte.“ Eine gute Nachricht ist, dass Ralf Julkes Kritik auf den Seiten der Leipziger Zeitung ohne Zugangsbeschränkung vollständig online zu lesen ist, weshalb die Bewohner der Jackson Insel für die Lektüre weiterer Aspekte einen Klick auf das fett gesetzte hier empfehlen, das schnurstracks dorthin führt.

Die Bewohner der Jackson Insel freuen sich über alle diese Kritiken. (Und wenn hier etwas fehlen sollte, hat es unsere kleine Insel nicht erreicht.)

Joseph Conrad, Ford Madox Ford: Die Natur eines Verbrechens

Zum 150. Geburtstag von Ford Madox Ford im Dezember 2023 und zum 100. Todestag von Joseph Conrad im August 2024

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, CoverIn einem Brief an seine Geliebte, die fern in Rom weilt, gesteht ein vermeintlich wohlhabender Geschäftsmann, dass er vor dem Nichts steht und dass er nur noch einen Ausweg sieht: Selbstmord. Er beginnt, die Umstände eines begangenen Verbrechens zu beschreiben, gerät in Bekenntnisse, lässt Lebenslügen durchscheinen, gibt immer mehr von sich preis, kommt buchstäblich auf Gott, die Welt und den Sinn zu sprechen. Aber was in seinen Bekenntnissen ist echt und was lediglich Pose? Und warum verzögern sich die Dinge und werden weitere Briefe nötig? „Die Natur eines Verbrechens“ ist keine Kriminalerzählung, sondern ein Bekenntnisbuch, geprägt von einem Blick, der durch eine existentielle Krise in der Wahrnehmung sowohl ungemein geschärft wie verstellt wird.

Das lange vernachlässigte Werk der beiden Meisterautoren Joseph Conrad und Ford Madox Ford erscheint erstmals auf Deutsch, wobei das Buch ergänzend, ebenfalls als deutsche Erstveröffentlichung, erhellende Texte von Conrad und Ford über ihre Zusammenarbeit enthält. In einem Essay beschreibt Herausgeber und Übersetzer Michael Klein die Hintergründe und durchaus überraschende Komplexität des Werks.

Joseph Conrad (1857-1924) und Ford Madox Ford (1873-1939) gehören zu den bedeutendsten Erzählern der modernen Literatur des 20. Jahrhunderts. In seinen vielschichtigen, auch vieldeutigen Romanen und Erzählungen – u. a. „Lord Jim“ (1900), „Das Herz der Finsternis“ (1902), „Nostromo“ (1904) oder „Sieg“ (1915) – knüpfte Conrad oft an autobiographische Erfahrungen seiner Seemannsjahre an. Ford Madox Fords bedeutendste Romane – „Die allertraurigste Geschichte“ und der Zyklus „Das Ende der Paraden“ – haben an Wertschätzung in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen und gelten heute ebenfalls als Klassiker des 20. Jahrhunderts.

In der Reihe „Klassische Literatur im schönen Gewand“ des Morio Verlags ist damit bereits der achte Band erschienen, weitere sind in Vorbereitung.

Joseph Conrad, Ford Madox Ford
Die Natur eines Verbrechens
Ein Kurzroman und Dokumente der Zusammenarbeit
Deutsche Erstausgabe
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Michael Klein
172 Seiten, gebunden, 28 €
Morio Verlag, 2024

Das Buch ist überall im Buchhandel erhältlich und lässt sich hier auch beim Verlag bestellen.

„Klassische Literatur im schönen Gewand, handverlesen von Michael Klein“ – zur Broschüre mit früheren Titeln der Reihe im Morio-Verlag geht es hier.

 

Stimmen zum Buch

Ein eigenwilliger, kleiner Roman, rätselhaft und faszinierend.
Susanne Bader, Der Wetzsteinbrief, Februarausgabe 2024

Ein ganz vertracktes Stück Literatur. Zuerst dachte ich, das könnte von Henry James stammen. … Ich verspreche: An diesem Text werden Sie Ihre Freude haben.
Franz Joachim Schultz, Amazon.de (19.2.2024)

Psychologisch betrachtet ist Die Natur eines Verbrechens ein faszinierendes Buch; stilistisch indes fehlt all das, was sowohl Conrads als auch Fords einzeln verfasste Werke auszeichnet: Anschaulichkeit und Spannungsaufbau.
Andreas Platthaus, F.A.Z. (2.3.2024)

Ist es ein Kurzroman? Oder nur das Fragment eines Romans, der einer hätte werden können, wenn Joseph Conrad oder Ford Madox Ford oder beide die Kraft gefunden hätten, aus dem Stoff tatsächlich ein großes Ding zu machen? Oder ist es am Ende das Psychogramm eines auf beklemmende Art modernen Menschen, der seine innere Leere auskippt in Briefen an eine Frau, die er vielleicht liebt. Wahrscheinlich aber eher nicht. Ein literarisches Fundstück. … Viele Facetten dieser Geschichte erschließen sich erst, wenn man den reichen Dokumententeil zu diesem Buch liest.
Ralf Julke, Leipziger Zeitung (12.3.2024)

Die ausführliche Kritik – mit ihren zahlreichen Aspekten und in voller Länge – können Sie hier auf den Seiten der Leipziger Zeitung lesen.

 

Frisch ausgepackt und im Handel: „Die Natur eines Verbrechens“ von Joseph Conrad und Ford Madox Ford

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, CoverIn einem Brief an seine Geliebte gesteht ein vermeintlich wohlhabender Geschäftsmann, dass er vor dem Nichts steht und nur noch einen Ausweg sieht: Selbstmord.

Er beginnt, die Umstände eines begangenen Verbrechens zu beschreiben, gerät in Bekenntnisse, lässt Lebenslügen durchscheinen, gibt immer mehr von sich preis, kommt auf Gott, die Welt und den Sinn zu sprechen. Aber was in seinen Bekenntnissen ist echt und was lediglich Pose? Und warum verzögern sich die Dinge und werden weitere Briefe nötig?

Das lange vernachlässigte gemeinsame Werk der beiden Meisterautoren Joseph Conrad und Ford Madox Ford erscheint als deutsche Erstausgabe anlässlich des 150. Geburtstags von Ford im Dezember 2023 und des 100. Todestags von Joseph Conrad im August 2024 und enthält zusätzlich weitere Texte beider Autoren über ihre Zusammenarbeit.

 

Nähere Informationen zum Buch gibt es hier.

Der Morio Verlag zu Gast in Ulm

Lesung und Gespräch

Scherz lass nach: Am 1. April 2014 wurde in Heidelberg der Morio Verlag gegründet. Morio ist das lateinische Wort für einen Narren und der berühmte Heidelberger Hofnarr Perkeo stand dafür Pate. Die Schelle seiner Narrenkappe bildet das Motiv des Verlagssignets; und seine innere Freiheit und Unabhängigkeit leiten den Verlag.

Der Verleger Roman Pliske stellt die Geschichte des Morio Verlags vor und gibt einen Einblick in das vielfältige Programm, denn in den vergangenen Jahren sind über 70 Bücher in den Bereichen Belletristik, Biografien, Bildbände, Kataloge und Wissenschaft erschienen. Nicht nur Autorinnen und Autoren der Gegenwart wird ein Podium geboten, sondern auch deutschen Erstübersetzungen internationaler Klassiker.

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, CoverDie Reihe „Klassische Literatur im schönen Gewand“ wird von Michael Klein präsentiert, der die Titel allesamt herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen hat. Bei allen handelt es sich um Erst- oder mindestens Neuübersetzungen klassischer Autorinnen und Autoren, die (wieder) zu entdecken sind. Nach Büchern von u. a. Arthur Conan Doyle, Sir Walter Scott und Mary Shelley ist kürzlich auch ein Band mit bisher unveröffentlichten Zeitschriftenbeiträgen von Charles Dickens erschienen. Im Herbst 2023 folgt der Gemeinschaftsroman „Die Natur eines Verbrechens“ von Ford Madox Ford und Joseph Conrad.

Roman Pliske, geboren 1970 in Berlin, studierte in Heidelberg Geschichte, Germanistik und Judaistik. Er gründete mit Ingo Držečnik 1995 den Elfenbein Verlag. Ab 1999 arbeitete er erst als freier Journalist („Die Zeit“, „Frankfurter Hefte“, „Tagesspiegel“), dann als Redakteur in der Axel-Springer AG, ab 2003 in der Chefredaktion von „bücher“, Deutschlands größtem Büchermagazin am Kiosk. Seit Oktober 2004 ist er Geschäftsführer, seit 2005 geschäftsführender Gesellschafter des Mitteldeutschen Verlags in Halle. Er lebt mit Partnerin und vier Kindern in Halle (Saale).

Der Morio Verlag zu Gast in Ulm
Am Dienstag, 26. September 2023, 19:30 Uhr
Bei der Museumsgesellschaft Ulm e.V.
Neue Str. 85
89073 Ulm

„Der unbekannte Charles Dickens“

Charles Dickens, Bei Dämmerung zu lesen, TitelMit diesem Titel überschreibt Julia Janzen, Redakteurin der Waldeckischen Landeszeitung, ihren Artikel über den aktuellen Band der Klassikerreihe im Morio Verlag, „Bei Dämmerung zu lesen“, der Schätze aus Dickens’ Zeitschriftenarbeiten versammelt – etliche erstmals auf Deutsch –, sowie über Hintergründe zur Arbeit an der Reihe als solcher.

Der am 16.6.2023 erschienene Artikel der WLZ ist jetzt vollständig auch online zu lesen. Interessenten finden ihn durch einen Klick hier sowie auf den Seiten der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung (HNA) hier.

(Weitere Informationen zu „Bei Dämmerung zu lesen“ von Charles Dickens gibt es hier, zu Joseph Conrads und Ford Madox Fords „Die Natur eines Verbrechens“ hier. Informationen zur Reihe und eine Bestellmöglichkeit der Bücher gibt es auch auf der Website des Verlags, konkret Dickens hier.)

Zum 150. Geburtstag von Ford Madox Ford

Kommende Ereignisse werfen ihre Cover voraus

Joseph Conrad, Ford Madox Ford: Die Natur eines Verbrechens

In einem Brief an seine Geliebte, die fern in Rom weilt, gesteht ein vermeintlich wohlhabender Geschäftsmann, dass er vor dem Nichts steht und dass er nur noch einen Ausweg sieht: Selbstmord. Er beginnt, die Umstände eines begangenen Verbrechens zu beschreiben, gerät in Bekenntnisse, lässt Lebenslügen durchscheinen, gibt immer mehr von sich preis, kommt buchstäblich auf Gott, die Welt und den Sinn zu sprechen. Aber was in seinen Bekenntnissen ist echt und was lediglich Pose? Und warum verzögern sich die Dinge und werden weitere Briefe nötig?

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, Cover„Die Natur eines Verbrechens“ ist keine Kriminalerzählung, sondern ein Bekenntnisbuch, geprägt von einem Blick, der durch eine existentielle Krise in der Wahrnehmung sowohl ungemein geschärft wie verstellt wird. Das lange vernachlässigte Werk der beiden Meisterautoren Joseph Conrad und Ford Madox Ford erscheint erstmals auf Deutsch, wobei das Buch ergänzend, ebenfalls als deutsche Erstveröffentlichung, erhellende Texte von Conrad und Ford über ihre Zusammenarbeit enthält. In einem Essay beschreibt der Herausgeber die Hintergründe und durchaus überraschende Komplexität des Werks.

Die Bewohner der Jackson-Insel freuen sich, dass damit bereits der achte Band aus der Reihe „Klassische Literatur im schönen Gewand“ aus dem Morio Verlag erscheint.

Das Buch lässt sich hier vorbestellen.

Informationen über weitere Titel aus der Reihe gibt es hier und auf der Website des Verlags.

Joseph Conrad – Freya von den Sieben Inseln

Aus der Reihe: Bücher, die sich wirklich lohnen

Joseph Conrad: Freya von den Sieben Inseln

Diverse Ausgaben

Joseph Conrad, Freya von den Sieben Inseln, TitelbildIn einem fernen Archipel der »östlichen Gewässer«, auf einer der »Sieben Inseln« lebt der Handelskapitän a. D. Nelson, genannt der »alte Nelson«, zusammen mit seiner schönen Tochter Freya auf einem Landstück, das er rechtmäßig gekauft hat und dessen er sich doch nicht wirklich sicher fühlt. Der alte Nelson hat seine Erfahrungen mit den Verwaltungen der Kolonialmächte gemacht und eine beinahe existenzielle Angst vor ihrer Willkür. Vor allem fürchtet er wie eine ständige Bedrohung die holländischen Behörden.

Wer die Romane und Novellen von Joseph Conrad (1857-1924, »Lord Jim«, »Herz der Finsternis«, »Nostromo«), des »größten Erzählers seiner Epoche«, wie Thomas Mann urteilte, kennt, weiß, dass in dieser Angst bereits der Keim einer Tragödie lauert. Freya liebt den tatkräftigen und in sie ebenfalls kreuzverliebten jungen Kapitän Jasper Allen, und ihrem Glück und gemeinsamen Seefahrertum auf Jaspers Brigg »Bonito« stünde gar nichts im Wege, gäbe es da nicht den holländischen Leutnant Heemskirk, Kommandant eines Kanonenboots.

Heemskirk ist böswillig, unbedeutend, farblos, aber dem Irrglauben verfallen, er habe Chancen bei Freya. Für den alten Nelson personifiziert er die ganze Allmacht der Behörden, und Heemskirk entgeht diese einschüchternde Wirkung auf Nelson keineswegs. Er beginnt, sie weidlich auszunutzen – und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Conrad erzählt diese Geschichte, die 1912 als eine von drei langen Erzählungen in »Zwischen Land und See« erschien, mit ungeheurer Plastizität, dichter Atmosphäre und einer sich stetig steigernden Spannung. Gewiss, die Figuren bleiben ein wenig typenhaft und der erfahrene Leser hört hin und wieder ein leises Knirschen in der Konstruktion; wie so oft bei Conrad wird die Beleuchtung auch gelegentlich ins leicht Grelle gewendet. Aber das zentrale „Biedermann-und-die-Brandstifter“-Motiv ist überzeugend entwickelt: Das Verhängnis liegt im Versuch, mit dem Einnisten des dreisten Machtanspruchs Kompromisse eingehen zu wollen, statt ihm beizeiten die Stirn zu bieten – das ist zeitlos gültig.

Die Schauplätze, in der ruhigen See zwischen Borneo und Sumatra gelegen, kannte Conrad aus eigener Anschauung. Zwei Jahrzehnte lang war er zur See gefahren und durchkreuzte die betreffenden Gewässer zeitweise als Erster Steuermann eines Dampfers. Conrad hieß eigentlich Josef Konrad Korzeniowski, war ursprünglich Pole und erlernte die englische Sprache erst als Erwachsener – und wurde einer der bedeutendsten Autoren darin.

Michael Klein