Zum 150. Geburtstag von Ford Madox Ford

Kommende Ereignisse werfen ihre Cover voraus

Joseph Conrad, Ford Madox Ford: Die Natur eines Verbrechens

In einem Brief an seine Geliebte, die fern in Rom weilt, gesteht ein vermeintlich wohlhabender Geschäftsmann, dass er vor dem Nichts steht und dass er nur noch einen Ausweg sieht: Selbstmord. Er beginnt, die Umstände eines begangenen Verbrechens zu beschreiben, gerät in Bekenntnisse, lässt Lebenslügen durchscheinen, gibt immer mehr von sich preis, kommt buchstäblich auf Gott, die Welt und den Sinn zu sprechen. Aber was in seinen Bekenntnissen ist echt und was lediglich Pose? Und warum verzögern sich die Dinge und werden weitere Briefe nötig?

Joseph Conrad, Ford Madox Ford, Die Natur eines Verbrechens, Cover„Die Natur eines Verbrechens“ ist keine Kriminalerzählung, sondern ein Bekenntnisbuch, geprägt von einem Blick, der durch eine existentielle Krise in der Wahrnehmung sowohl ungemein geschärft wie verstellt wird. Das lange vernachlässigte Werk der beiden Meisterautoren Joseph Conrad und Ford Madox Ford erscheint erstmals auf Deutsch, wobei das Buch ergänzend, ebenfalls als deutsche Erstveröffentlichung, erhellende Texte von Conrad und Ford über ihre Zusammenarbeit enthält. In einem Essay beschreibt der Herausgeber die Hintergründe und durchaus überraschende Komplexität des Werks.

Die Bewohner der Jackson-Insel freuen sich, dass damit bereits der achte Band aus der Reihe „Klassische Literatur im schönen Gewand“ aus dem Morio Verlag erscheint.

Das Buch lässt sich hier vorbestellen.

Informationen über weitere Titel aus der Reihe gibt es hier und auf der Website des Verlags.

Charles Dickens: Bei Dämmerung zu lesen

Unbekannte Glanzstücke aus Dickens’ Feder

Zwischen uns beiden sei’s gesagt: bewunderungswürdig!“, frohlockt Charles Dickens in einem Brief an einen Freund und kann sich in dieser Äußerung der Begeisterung über einen eigenen Text, den er gerade für seine Zeitschrift „Household Words“ geschrieben hat, nicht enthalten. Dickens war zeitlebens ein journalistischer Schriftsteller, verfasste bereits als Teenager Artikel und Berichte und verdankte seinen frühen immensen Erfolg den Skizzen und Erzählungen, die er in Zeitungen veröffentlichte.

Charles Dickens, Bei Dämmerung zu lesen, TitelMit „Household Words“ und „All the Year Round“ gründete er später zwei eigene Zeitschriften, in denen er nicht nur seine Romane in Fortsetzungen erscheinen ließ, sondern darüber hinaus regelmäßig Erzählungen, Reportagen und Kommentare zum Zeitgeschehen. Anspruch, Unterhaltung und Drängen auf Sozialreformen waren Dickens’ Ziele als Zeitschriftenmacher, und der Erfolg spiegelte sich in den Hunderttausenden von Leserinnen und Lesern, die jede Ausgabe erreichte.

Dieser Band versammelt die besten bei uns unbekannt gebliebenen Dickens-Beiträge, zahlreiche davon erstmals auf Deutsch. Dickens’ Feder braust vor Energie, Angriffs- und Erzähllust und gar manches erweist sich als zeitlos und heute wieder aktuell.

Charles Dickens (1812-1870) gehört bis heute zu den beliebtesten Schriftstellern der Weltliteratur, in England ist er geradezu eine nationale Institution, und auch bei uns erfreuen sich seine Werke einer nicht nachlassenden Beliebtheit. Sein „Weihnachtslied in Prosa“ erscheint im deutschsprachigen Raum bis heute alljährlich in immer neuen Ausgaben und Adaptionen. Dickens’ lebensvoller Erzählstil, sein quirliger Humor, sein vehementer Humanismus und seine mitreißende Schaffensfreude brachten ihm den Beinamen „der Unnachahmliche“ ein, seine Romane wie „Oliver Twist“, „David Copperfield“, „Little Dorrit“, „Eine Geschichte zweier Städte“ oder „Große Erwartungen“ wurden zu unvergänglichen Klassikern.

Charles Dickens

Bei Dämmerung zu lesen

Ungehobene Schätze aus seinen Zeitschriftenbeiträgen

Mit zahlreichen Texten erstmals auf Deutsch

Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Michael Klein

172 Seiten, gebunden, 26 €

Morio Verlag, 2022

 

Stimmen zum Buch

Da und dort sind in der Vergangenheit auch schon einige journalistische Arbeiten von Dickens ins Deutsche übersetzt worden. Aber dieses Büchlein zeigt, wie unentdeckt dieser begabte Zeitschriftenautor tatsächlich noch ist. Und vor allem, wie gegenwärtig die Themen sind, die ihn schon vor 120 Jahren ärgerten und dazu brachten, die ganz spitze Feder herauszuholen.“

Ralf Julke, Leipziger Zeitung

 

Eine Auswahl der bislang bei uns weitgehend unbekannt gebliebenen Beiträge Dickens’ hat der Journalist und Übersetzer Michael Klein jüngst zusammengestellt. Die zwischen 1836 und 1855 publizierten Texte, einige davon erscheinen erstmals auf Deutsch, beeindrucken vor allem durch ihre zeitlose Aktualität. Der Band mit Kostproben von Dickens’ journalistischen Arbeiten ist in der kleinen, aber feinen Edition „Klassische Literatur im schönen Gewand“ im Morio Verlag erschienen. Inzwischen liegen bereits sieben Titel vor – hoffen wir auf weitere Entdeckungen.

Mathias Iven, Das Blättchen – Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

 

Dieses Buch ist, hat man sich erst in Duktus und Rhythmus der Sprache eingelesen, der pure Genuss. Welche Lust am Erzählen, welche Energie, welcher Sprachwitz, welcher Humor! – Michael Klein bringt in diesem Buch einige der unbekannten Glanzstücke des „Unnachahmlichen“ – wie man Dickens auch nannte – an die Öffentlichkeit. Da kann man nur sagen: Danke!

07 Das Magazin für Gera und Region

 

„Bei Dunkelheit zu lesen“ enthält unbekannte, bis heute aufschlussreiche Perlen aus der Feder von Charles Dickens – einem Freigeist.

Tobias Prüwer, Chemnitzer Zeitung

 

Klassische Literatur im schönen Gewand, handverlesen von Michael Klein – zur Broschüre mit allen früheren Titeln der Reihe im Morio-Verlag geht es hier.

Unbekannte Glanzstücke aus Charles Dickens’ Feder

Kommende Ereignisse werfen ihre Cover voraus

Charles Dickens, Bei Dämmerung zu lesen, Titel„Zwischen uns beiden sei’s gesagt: bewunderungswürdig!“ frohlockt Charles Dickens in einem Brief an einen Freund und kann sich in dieser Äußerung der Begeisterung über einen eigenen Text, den er gerade für seine Zeitschrift „Household Words“ geschrieben hat, nicht enthalten. Dickens war zeitlebens ein journalistischer Schriftsteller, verfasste bereits als Teenager Artikel und Berichte, verdankte seinen frühen immensen Erfolg den Skizzen und Erzählungen, die er in Zeitungen veröffentlichte, und gründete mit „Household Words“ und „All the Year Round“ später zwei eigene Zeitschriften, in denen er nicht nur seine Romane in Fortsetzungen erscheinen ließ, sondern darüber hinaus regelmäßig Erzählungen, Reportagen und Kommentare zum Zeitgeschehen.

Anspruch, Unterhaltung und Drängen auf Sozialreformen waren Dickens’ Ziele als Zeitschriftenmacher, und der Erfolg spiegelte sich in den Hunderttausenden von Lesern, die jede Ausgabe erreichte. Der Band „Bei Dämmerung zu lesen“, der in Kürze erscheint, versammelt die besten bei uns unbekannt gebliebenen Dickens-Beiträge und präsentiert eine Vielzahl davon zum ersten Mal auf Deutsch.

Dickens’ Feder braust vor Energie, Angriffs- und Erzähllust und gar manches erweist sich als zeitlos und heute wieder aktuell.

Christopher Ecker – Herr Oluf in Hunsum

Aus der Reihe: Bücher, die sich wirklich lohnen

Christopher Ecker: Herr Oluf in Hunsum

MDV, 232 S., gebunden

Ecker furios

Gelegentlich ist es ja schwierig, in einer Kritik den distanzierten Tonfall der durchdachten Abwägung durchzuhalten, zum Beispiel bei diesem Buch. Einfach, weil es derart erstklassig erzählt. Rasant, intelligent, erfrischend dreist. Verzagt aber auch, passenderweise. Virtuos komponiert, souverän im Stil, kühn in den Perspektivenspielen. Verwirrt fragt man sich, ob die Fähigkeit zur Kritik temporär lahmgelegt ist, man sucht nach Fehlern: vergeblich. Man greift nach einem anderen Buch, das man unlängst gelangweilt beiseitelegte. Nein, das kritische Bewusstsein ist intakt, dieses Buch ist langweilig wie zuvor. Man sieht: der neue Ecker ist besorgniserregend gut.

Kunstprofessor Oluf Sattler steht zu Beginn des Romans mit beiden Beinen fest in einem ausgewachsenen Dilemma. Er hat im fernen Hunsum an der Nordsee einen für ein ganzes Institut ungemein wichtigen Vortrag zu halten (Stichwort: Fördergelder) und ist deswegen unverzichtbar und unmittelbar vor der Abreise stehend. Zeitgleich erkrankt daheim heftig fiebrig seine Ehefrau – samt Kleinkind neben ihr –, die er unversorgt alleinlassen muss, wenn er seiner Unverzichtbarkeit Folge leisten will.

Guter Rat ist unbezahlbar, weil schwer möglich. Keine Zeit, Dinge zu organisieren, Aufbruch ins Verderben oder Daheimbleiben ins Verderben die Möglichkeiten, die bleiben. Oluf Sattler vermag nicht abzusagen, also bricht er gewissensgeplagt auf und setzt sich einer Dreieinigkeit der Plagen aus: der nun überaus ungeliebten Fahrt und ihrem Vortrag, dem Kopfkino der unentwegten Besorgnisse und dem erbarmungslosen Schweigen des Handys. Denn Sattler ruft zuhause an, niemand hebt ab oder ruft zurück, und sein Handy quält ihn nach kurzer Zeit mit mordernstem Fortschritt in Form von wirren und fehlgehenden Sicherheitsabfragen und Captchas. In der Welt und abgeschnitten von den Liebsten, es erschüttert ihn bis in die Grundfesten.

Christopher Ecker, Herr Oluf in Hunsum, TitelDas ist furios und allgemeingültig beschrieben. Es geht schmerzlich und bitter zu in diesem Roman, die simple Banalität dessen ist ebenso plastisch geschildert, obendrein brandet mitreißender Humor auf. Passt das zusammen? Und wie. Inhaltlich ist dieser Roman zu seinen Vorgängern lange Zeit ein Winkelzug. Ecker liebt es, uns in Wirklichkeitszersetzungen und Realitätstücken zu führen, aber diesmal präsentiert er die Welt überwiegend so bodenständig, wie sie ein Protagonist zwischen bewusster, konzentrierter Erdung und Seelenpanik nur erleben kann – gespickt mit ironisch-satirischen Seitenhieben auf den Wissenschaftsbetrieb, französische Modephilosophen, die Freuden der Paartherapie oder Bemerkungen über Kunst und Kapitalismus. Eckers kühne Perspektivenbrechungen sind ebenso faszinierend wie die eingewirkten Binnengeschichten, deren allerbeste einen lange heiteren Frankreichurlaub schildert, der so schrecklich endet wie Sattlers aktuelle Fahrt.

Denn dem Unheil eines verkorksten Vortrags folgt Sattlers traumähnliche Irrfahrt durch unheimlich-heimisch-vertrautes Gelände voller Orientierungslosigkeit, inklusive Zusammentreffen mit „auf vulgäre Weise attraktiv“ aufgebrezelten Zwillingen und schließlich einer ländlich derb-rustikalen Mordszene, die auch dem Kriminalroman entsprungen sein könnte, den Sattler zu lesen begonnen hat. Dieses Finale des Buchs bleibt mit Sattlers direktem Erleben noch atmosphärisch-assoziativ verknüpft, Freuds Traumdeutungserkenntnisse liefern einen zusätzlichen Schlüssel, den Motivverschiebungen zu folgen. (Schon Eckers Vorgängerroman, „Die letzte Kränkung“, wies einen Bezug zu Freud auf.)

Der Schluss, in dem eine Tankstelle zum Schlachthaus wird und / oder der Protagonist überraschenden Ruhm und neues Glück mit einer jungen, sexy Künstlerin erlebt, oszilliert nach seiner kurzen Einleitung („Der Rest ist schnell erzählt“) zwischen Alp- und Wunschtraum. Wirklich überzeugend geht das Buch in seinem Schluss nicht auf. Nein, nein, um Missverständnisse gleich zu vermeiden: Natürlich schreibt Christopher Ecker keine Bücher, die in einem auch nur annähernd platten Sinn „aufgehen“ sollen. Aber auch in seinem Nichtaufgehen gibt es einen motivlichen Faden, der in „Herr Oluf in Hunsum“ bis kurz vor Ende des Romans stimmig bleibt, auch die grotesk-alptraumartigen Szenen haften atmosphärisch immer noch am inneren Geschehen. Doch die Auslassungen, die am Ende ins Düster-Existentielle oder Traumlösungs-Triviale münden, entfliehen dem Konflikt und wirken deshalb weniger virtuos. Über weite Strecken ist dies Eckers bester Roman; man hätte seinem Schwung noch ein meisterhaftes Finale gewünscht, dann wäre man aus dem Loben gar nicht mehr herausgekommen.

MICHAEL KLEIN

Der Klassiker des historischen Romans

Walter Scott zum 250. Geburtstag

Walter Scott, der Klassiker des historischen Romans, Porträt

Walter Scott, Klassiker des historischen Romans

Heute vor 250 Jahren, am 15. August 1771, wurde Walter Scott geboren, einer der gefeiertsten, bedeutendsten Autoren seiner Zeit, der Klassiker des historischen Romans, der mit „Waverley“ (1814) den Prototyp dieser Gattung schuf, dessen Vorbild bis heute nachgeeifert wird.

„Ivanhoe“ und „Quentin Durward“ wurden zu seinen größten Erfolgen, prächtige Abenteuerbücher beide, doch in seinem reichen Werk gibt es noch zahlreiche Edelsteine von zeitloser Qualität, man denke an fulminante Romane wie „Old Mortality“, „Die Braut von Lammermoor“ oder das Spätwerk „Chrystal Croftangrys Geschichte“ – Bücher, die es lohnt, wieder zu lesen und zu würdigen.

Denn dass Walter Scott etwas aus der Mode gekommen ist, spricht wahrlich nicht gegen ihn.

Lesen wir hinein, was Größen der Literatur über ihn zu sagen wussten:

 

Man liest viel zuviel geringe Sachen, womit man sich die Zeit verdirbt. Man sollte eigentlich immer nur das lesen, was man bewundert, wie ich es nun an Walter Scott erfahre. Da ist nun freilich alles groß, Stoff, Gehalt, Charaktere, Behandlung, und dann der unendliche Fleiß in die Vorstudien, sowie in der Ausführung die große Wahrheit des Details! Er ist der reichste, gewandteste und berühmteste Erzähler des Jahrhunderts.

Johann Wolfgang von Goethe

 

Sir Walter Scott war Britanniens größter Dichter, man mag einwenden und sagen, was man will.“

Heinrich Heine

 

Du bittest mich, Dir ein paar Bücher als Lektüre zu empfehlen. An Romanen empfehle ich ausschließlich Scott; alles nach ihm taugt nichts mehr.“

Charlotte Brontë

 

Dieser Schriftsteller ist so bedeutend, dass das Erste, was man von ihm liest, immer in Erstaunen setzt, man mag zu ihm gelangen, von welcher Seite man wolle.“

Ludwig Tieck

 

Walter Scott, Chrystal Croftangrys Geschichte, Cover„Die Schönheit der Küsten und Inseln, Seen und Berge des schottischen Hochlands ist unbestreitbar groß, aber doch vielleicht nicht so groß, wie mancher versucht sein könnte aus Walter Scott`schen Schilderungen herzuleiten. Nicht als ob diese Schilderungen der Wahrheit selbst entbehrten, gegentheils, sie zeichnen sich fast immer durch eine daguerreotypische Treue aus, die neben so vielem anderen zur Bewunderung hinreißen muß: aber es bleibt beim Leser selbst jener verzeihliche Irrthum nicht aus, der die Schilderung mit dem Geschilderten unwissentlich verwechselt und die Makellosigkeit, den Schwung und imposanten Vollklang der poetischen Beschreibung auf das beschriebene Objekt überträgt. Das Erscheinen seines ersten Romans fiel mit dem Sturz der napoleonischen Herrschaft zusammen, und man darf ohne Übertreibung sagen, der Name Walter Scott fing an, den Namen Napoleon im Munde des Volkes, wenigstens der Gebildeten aller Völker, abzulösen.“

Theodor Fontane

 

Das Erscheinen eines neuen Romans aus seiner Feder verursachte in den Vereinigten Staaten eine größere Sensation als manche Schlacht Napoleons.“

Samuel Goodrich

 

Walter Scott: Die Braut von Lammermoor - CoverWalter Scott ist der König der Romantiker.“

Robert Louis Stevenson

 

Mein ganzes Leben lang habe ich mich an den Romanen von Walter Scott erfreut!“

Jules Verne

 

„Lesen und Genesen“ u. a. mit James M. Barrie

Ursula Baumhauer (Hrsg.): Lesen und Genesen

Diogenes Verlag, Taschenbuch

Lesen und Genesen, hrsg. von Ursula Baumhauer, mit "Der kranke Logiergast" von James M. BarrieEs wäre ganz gewiss schön, wenn Literatur Wunder vollbringen könnte. Angesichts des Buchtitels „Lesen und Genesen“ stellt sich mir spontan das Bild eines Arztes vor Augen, der einem Kranken folgendes Rezept ausstellt: „Zwanzig Seiten eines Klassikers täglich, am Wochenende zusätzlich eine kräftige Dosis moderne Literatur, bitte nicht vergessen immer wieder einige Tropfen Lyrik, unverdünnt und ausführlich wirken lassen – das bringt Sie unfehlbar wieder auf die Beine.“ Erich Kästner hat eine Gedichtauswahl anno 1936 bekanntlich „Lyrische Hausapotheke“ genannt.

Lesen und Genesen“ heißt eine von Ursula Baumhauer (der Name strotzt vor Gesundheit) herausgegebene und zusammengestellte Textauswahl, in der es um Krankheit und Gesundung geht. Eine der prächtigen Erzählungen dieses Bandes ist „Ein kranker Logiergast“ von James M. Barrie, und das wird an dieser Stelle zuerst und besonders auffällig erwähnt, weil sich ihr Übersetzer darüber besonders freut. Sie ist der im Morio Verlag erschienenen deutschen Barrie-Erstausgabe „Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam“ (2017) entnommen, und wem „Der kranke Logiergast“ heiteres, heilendes Vergnügen bereitet, findet in diesem Buch noch etliches Verlockende mehr in gleicher Qualität. Neugier darauf sei also guten Gewissens empfohlen.

Barrie würde sich übrigens wohl fühlen unter seinen Schriftstellerkollegen, die in der Summe eine große Bandbreite der Motive und Stile auffahren. William Somerset Maugham tischt zu Beginn eine kurze Diätkomödie auf, die in hemmungslos fulminanter Völlerei endet. Lebenswahr kurios der Zwischenstopp „Drei Stunden zwischen zwei Flügen“ von F. Scott Fitzgerald. Gekonnt schreibt George Watsky in „Welches Jahr haben wir?“ über das Erleben epileptischer Anfälle. Und der Wirbelsäulen-geplagte Cees Nooteboom schlägt aus dem Leiden trotzig komische Funken in der Ménage-à-trois „Doktor K., le docteur D. und ein hundertjähriger Rücken“. Weitere Sorgen und Freuden sind auf den insgesamt 270 Seiten des Buchs u. a. bei Benedict Wells, Banana Yoshimoto oder Bernhard Schlink zu entdecken. Die eindrucksvolle Titelillustration stammt von André Brasilier und gesellt sich zum zeitlos eleganten Aussehen der Diogenes-Bücher samt ihrer angenehmen Haptik.

MICHAEL KLEIN

Klassische Literatur im schönen Gewand, handverlesen von Michael Klein – zur Broschüre mit allen Titeln der Reihe im Morio-Verlag geht es hier.

Caroline Baldwin – Die Gesamtausgabe 1

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

André Taymans: Caroline Baldwin – Die Gesamtausgabe 1

Schreiber & Leser, gebunden

Andre Taymans, Caroline Baldwin, Gesamtausgabe 1, Schreiber & Leser

Caroline Baldwin, Gesamtausgabe 1

Die amerikanische Elektronikfirma Kristal Corporation ist in heller Aufregung. Frank White, ein ehemaliger NASA-Astronaut und Teilnehmer einer Mondlandung, ist ohne Nachricht oder Spur verschwunden. Als Repräsentant der Firma ist er dringend notwendig, gerade jetzt, da ein millionenschwerer Vertrag mit einem japanischen Partnerunternehmen unterzeichnet werden soll. White ist nirgends aufzufinden. Die Firma beauftragt die Detektei Wilson mit der Aufgabe, und diese setzt Caroline Baldwin auf den Fall an. Aber ist es ein Fall? Hat ein fieser Konkurrent von Kristal den Astronauten entführt? Oder hat sein Verschwinden ganz andere Hintergründe, an die noch niemand denkt? Caroline Baldwins Ermittlungen führen sie nach Venedig. Aber die Wahrheit weiß vielleicht nur der Mond…

Ihr frecher Kurzhaarschnitt, die mädchenhaften blauen Augen – zwischen tough und verletzlich – und die sternengleichen Sommersprossen sind ihr Markenzeichen: Caroline Baldwin, die junge New Yorker Privatdetektivin indianischer Abstammung, ist Kind und Frau zugleich, unerschrocken, selbstbewusst, zupackend einerseits und sensibel, verloren und immer ein bisschen überwältigt von der großen Welt und den Abgründen, die darin lauern, andererseits.

Caroline Baldwin, Astronaut am Abgrund, Cover

Caroline Baldwins erstes Abenteuer

»Astronaut am Abgrund« heißt der erste Fall Caroline Baldwins. André Taymans vielschichtige Geschichte voller Thrill, Romantik, Poesie und Melancholie ist brillant und die beste Episode einer ohnehin herausragenden Reihe. Graphisch ist sie eine Klasse für sich, beeinflusst von Altmeister Hugo Pratt (»Corto Maltese«) und der »ligne claire« der Hergé-Schule, dabei aber stilistisch eigenständig, der Erzählweise des Films verwandt und von starker, plastischer Farbgebung.

Der dieser Tage erschienene erste Band der Gesamtausgabe versammelt die ersten vier Caroline-Baldwin-Alben, und neben »Astronaut am Abgrund« ist darin vor allem „Kontrakt 48-A“ sehr zu empfehlen. Carolines Freund seit Kindertagen Mike, Waise und aufgrund einer angeborenen Behinderung im Rollstuhl sitzend (Carolines indianische Familie nannte ihn „Zwei Räder“), bittet sie, seiner Herkunft nachzuforschen. Über seine Eltern weiß er nichts, nur dass jemand anonym für ihn und seine Ausbildung monatlich einen Betrag ans Waisenhaus zahlte. Nichts als ein kleiner, schnell erledigter Freundschaftsdienst, denkt Caroline, doch kaum beginnt sie ihre Nachforschungen, sterben ihre anvisierten Gesprächspartner und Caroline begreift, dass sie selbst ins Visier mächtiger, unbekannter Gegenspieler geraten ist. Und das alles nur, weil Mike wissen will, wer seine Eltern waren?

Die Comicreihe »Caroline Baldwin« überzeugt mit ihrer exzellenten, modernen visuellen Gestaltung ebenso wie mit ihrem ausgeprägten Sinn für Atmosphären, psychologische Zwischentöne und die tieferen Dimensionen des Lebens. Klarer Fall: beeindruckend.

P.S.: Der zweite Band der Gesamtausgabe ist bereits für Juni angekündigt.

MICHAEL KLEIN

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer (1968)

Aus der Reihe: Großes Fernsehkino

Ein Fernsehklassiker nach den Romanen von Mark Twain

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer (1968)

„Strenge lag ihr nicht“: Tante Polly (Lina Carstens) und Tom (Roland Demongeot)

Seit den mittleren 60iger Jahren bis in die frühen 80iger gab es im Programm des ZDF die allseits beliebte, erfolgreiche und aufmerksamkeitsträchtige Tradition der sogenannten Adventsvierteiler. Der Name leitete sich daher ab, dass die Produktionen fast immer in der Adventszeit ausgestrahlt wurden oder in manchen Fällen, da es sich um Vierteiler handelte, zumindest in ihr begannen. Die Geschichte dieser Tradition nahm bereits ihren Anfang, als das ZDF noch in den Kinderschuhen steckte und aus Holzbaracken sendete, und möglich wurde sie überhaupt erst durch die Freundschaft des deutschen Film- und Fernsehproduzenten Walter Ulbrich – „Unter den Brücken“ (1945), „Rose Bernd“ (1956), „Schwarzer Kies“ (1960) – mit dem ursprünglich aus Rumänien stammenden französischen Kollegen Henri Deutschmeister.

Die Idee von Ulbrich und Deutschmeister: große klassische Literatur in aufwändigen Adaptionen zu verfilmen, die sich visuell an den Maßstäben des Kinofilms, nicht des Fernsehens orientieren sollte, und so ausführlich erzählt, dass Zeit genug zur Verfügung stand, die Qualitäten der Vorlagen adäquat auszuspielen. Und das alles wäre, wie sich der damalige ZDF-Redakteur Stefan Barcava später erinnerte, ohne die enorme finanzielle und organisatorische Großzügigkeit Deutschmeisters undenkbar gewesen, der den Hauptbatzen der Produktionskosten stemmte.

Die Beteiligten – Ulbrich, Deutschmeister und Barcava – waren allesamt ausgesprochen Literatur-begeistert, diskutierten die Stoffe intensiv, und Barcava bekannte freimütig, man habe so manchen erbitterten inhaltlichen Zwist ausgefochten, aber stets verbunden mit höchstem Respekt, da man auch bei unterschiedlicher Meinung die Qualität und Ernsthaftigkeit der unterschiedlichen Standpunkte kannte und schätzte. 1964 hatte der erste Vierteiler von Deutschmeister und Ulbrich im ZDF Premiere: „Robinson Crusoe“ mit Robert Hoffmann in der Hauptrolle.

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer (1968)

Kolossaler Spaß schon bei den Dreharbeiten: Roland Demongeot und Marc di Napoli

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer“ war die vierte dieser Produktionen und wie beim Vorgänger „Die Schatzinsel“ (1966) entstand sie unter der künstlerischen Federführung von Walter Ulbrich, der in beiden Fällen das Drehbuch schrieb, mit dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner zusammenarbeitete und die Montage selbst vornahm. (Einen Artikel über Roman und Vierteiler „Die Schatzinsel“ habe ich in der aktuellen Ausgabe 1/2021 der Zeitschrift „Kult!“ veröffentlicht.) Ulbrich, ein exzellenter Drehbuchautor, lebte förmlich in den Stoffen, die er adaptierte, legte großen Wert auf realistische Darstellung und wusste die Essenz der Vorlagen gekonnt zu greifen. In „Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer“ zeigt sich das in der hohen Qualität des Off-Kommentars, der Mark Twains Tonfall glänzend trifft, in der gelungenen, passgenauen Hinzufügung zahlreicher Details aus Mark Twains Autobiographie sowie in der vollends durchdachten Adaption der beiden literarischen Vorlagen.

Ein Beispiel soll das Letztgenannte illustrieren: Mancher Leser der Romane wird sich wundern, dass lediglich das erste Drittel von „Huckleberry Finn“ im Vierteiler als Stoff aufgegriffen wird. Wer sich mit Mark Twain auskennt, weiß, dass er nach dem Abschluss von „Tom Sawyers Abenteuer“ inspiriert und mit Verve sogleich den Nachfolger begann und das besagte erste Drittel in einem Rutsch schrieb – und selbst sehr angetan davon war. Danach jedoch geriet seine Schreiblaune ins Stocken, das Manuskript lag lange Zeit, ohne dass ihm eine zündende Idee für seine Fortführung kam. Schließlich schrieb er den Mittelteil des Romans mit den burlesken Abenteuern um die Figuren Duke und King, der an die Klasse des Vorherigen nicht mehr wirklich heranreicht, und anschließend erlahmte die Arbeit schon wieder und noch hartnäckiger als zuvor. Nach längerer Pause hängte Mark Twain schließlich einen Schluss an, weil er – wie er später bekannte – schlicht Sorge bekam, dass der Roman andernfalls ewig Fragment bleiben würde. Dass der Schluss inhaltlich nur zweite Güte besaß, wusste Mark Twain, und er hat ihn selbst nicht besonders gemocht. Ulbrichs Entscheidung, den Vierteiler an früherer Stelle enden zu lassen, ist also wohlüberlegt und in seiner konkreten Ausführung bewundernswert überzeugend. Außerdem baute Ulbrich einige gelungene Szenen aus der zweiten Hälfte von „Huckleberry Finn“ in kluger Variation in die frühere Handlung ein, beispielsweise die Boggs-Episode. Ulbrichs Version erweist sich im Vergleich mit zahlreichen anderen Film- und Fernsehadaptionen als die mit Abstand beste Verfilmung des Stoffs.

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer (1968)

Grausiger Fund (Serge Nubret als Jim)

Gedreht wurde in Rumänien, und man darf feststellen: Die Donau machte sich als Darstellerin des Mississippi ausgezeichnet. Roland Demongeot und Marc di Napoli waren treffend besetzt, denn dass sie den Charakteren, die sie spielten, ungemein verwandt waren, bewies die Tatsache, dass sie der Arbeitsdisziplin ebenso widerspenstig gegenüberstanden wie die Figuren, die sie verkörperten. Lina Carstens gab eine großartige Tante Polly, und überhaupt kam hier durchweg ein prägnantes Schauspielerteam zusammen, zu dem nicht zuletzt Ernst-Fritz Fürbringer als Erzähler zählt, der Mark Twains Humor und Fabulierfreude allerfeinst zur Geltung brachte. Vieles Weitere wäre ausdrücklich noch zu loben, stellvertretend erwähnt sei die Musik des Filmkomponisten Vladimir Cosma, die von der beschwingten Mississippimelodie bis zum melancholischen Huckleberry-Finn-Thema die Atmosphären eindrucksvoll unterstreicht.

Die Erstausstrahlung im Dezember 1968 erfolgte jeweils an den Adventssonntagen ab 20:00 Uhr abends, denn die Verantwortlichen beim ZDF wussten, dass die humorvolle Sprache, die Lebensklugheit und der Anspielungsreichtum Mark Twains alterslos attraktiv waren und Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen begeistern würden. Das war ganz in Mark Twains Sinn, der die Romane für Erwachsene geschrieben hatte – erst sein Freund und Lektor William Dean Howells überredete ihn, sie als Bücher für Jugendliche zu bewerben, und er hatte ein schlagendes Argument: „Die Erwachsenen lesen sie doch sowieso.“

Die Prognose erwies sich bei den Romanen als zutreffend, und so wiederholte es sich mit dem Vierteiler, der sich allgemeiner Beliebtheit erfreute, Roland Demongeot und Marc di Napoli zu Stars ihrer Zeit machte und den Ruf, den sich die damals ja noch ganz junge Produktionsreihe zuvor auch schon mit der „Schatzinsel“ erworben hatte, zementierte. Später sollten innerhalb dieser Tradition übrigens noch weitere prächtige Literaturverfilmungen nach Drehbüchern Walter Ulbrichs und von seiner Produktionsfirma folgen, beispielsweise „Die Lederstrumpf-Erzählungen“ (1969) nach James Fenimore Cooper, „Der Seewolf“ (1971) und „Lockruf des Goldes“ (1975) – beide nach Jack London und in der Regie von Wolfgang Staudte – oder Robert Louis Stevensons „Die Abenteuer des David Balfour“ (1978).

Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer (1968)

Unerfreuliches Wiedersehen (Marcel Peres als Hucks Vater)

Die vier Teile von „Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer“ laufen am Montag, den 21.12., auf 3sat und sind in ihrer restaurierten Fassung schon jetzt in der 3sat-Mediathek abrufbar. Einziger kleiner Wermutstropfen: Wie bei den meisten heutigen Restaurationen wurde das Bild zu stark aufgehellt, in der Originalfassung waren die Nachtszenen wesentlich natürlicher und dunkler, was insbesondere in einem Fall eine eindrucksvolle Szene leider ruiniert: Im vierten Teil klettert der Streuner Huck nach einem nächtlichen Streifzug zurück in sein Zimmer bei der Witwe Douglas. Er entzündet eine Kerze – und erschrickt fürchterlich. Da sitzt sein unberechenbarer, oft grausamer Vater, zuvor von der nächtlichen Dunkelheit für ihn und die Zuschauer vollends verborgen. In der restaurierten, übertrieben aufgehellten Fassung wundert sich der Zuschauer hingegen über den dusseligen Huck, der seinen deutlich von Beginn an zu sehenden Vater absichtlich gar nicht zu beachten scheint und kurz später so tut, als wäre er fürchterlich erschrocken, obwohl er seinen Vater doch längst hätte erkennen müssen. Vielleicht könnte man diesen Schnitzer von Seiten des Senders vor der nächsten Wiederholung noch verbessern. Immerhin hat man mit diesem Vierteiler ein echtes Juwel im Programm und einen dieser Klassiker, die man als Zuschauer, obwohl man sie schon bestens kennt, trotzdem immer wieder neu mit Freude sieht.

 

Fotos mit freundlicher Genehmigung des ZDF

Michael Klein

 

Die Ausstrahlungszeiten, alle am 21.12.2020 (3sat)

Teil 1: 13:10-14:40 Uhr

Teil 2: 14:40-16:05 Uhr

Teil 3: 16:05-17:30 Uhr

Teil 4: 17:30-19:00 Uhr

 

Und weil es so schön ist, zeigt 3sat auch die beiden eben erwähnten Adventsvierteiler „Die Lederstrumpf-Erzählungen“ und „Die Schatzinsel“, hierzu die Ausstrahlungsdaten:

 

Die Lederstrumpf-Erzählungen

22.12.2020 (3sat)

Teil 1: Der Wildtöter, 13:00-14:30 Uhr

Teil 2: Der letzte Mohikaner, 14:30-15:50 Uhr

Teil 3: Das Fort am Biberfluss, 15:50-17:25 Uhr

Teil 4: Die Prärie, 17:25-19:00 Uhr

 

Die Schatzinsel

23.12.2020 (3sat)

Teil 1: Der alte Freibeuter, 13:10-14:35 Uhr

Teil 2: Der Schiffskoch, 14:35-16:00 Uhr

Teil 3: Das Blockhaus, 16:00-17:35 Uhr

Teil 4: Die Entscheidung, 17:35-19:00 Uhr

Carl Jonas Love Almquist – Die Woche mit Sara

Aus der Reihe: Bücher, die sich wirklich lohnen

Carl Jonas Love Almquist: Die Woche mit Sara

Rororo, Taschenbuch

Wie angekündigt an dieser Stelle noch ein vierter Beitrag in der kleinen Reihe über die Liebe in klassisch gewordenen Novellen oder Kurzromanen, chronologisch gehen wir nach Joseph Conrads „Freya von den Sieben Inseln“ (1912), Henry Millers „Daisy Miller“ (1878) und Fjodor M. Dostojewskis „Weiße Nächte“ (1848) noch einmal ein knappes Jahrzehnt zurück und reisen im Geiste ins damalige Schweden.

Carl Jonas Love Almquist, Die Woche mit Sara, Titel

Titel der 2004 erschienenen gebundenen deutschen Ausgabe bei Kindler

Stockholm, an einem sonnigen Julitag in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Ein Dampfer legt ab, und unter der zufälligen Reisegesellschaft finden sich ein junger, ehrgeiziger Unteroffizier und eine junge, unaufdringlich stolze Schöne, deren Wege sich nicht vollständig unabsichtlich immer wieder kreuzen, denn man hat ein vorsichtiges Auge aufeinander geworfen.

Die Reiseziele der beiden führen eigentlich in unterschiedliche Richtungen, doch als man sich anzunähern beginnt und sich unausgesprochen einige Verliebtheit breitmacht, entscheidet der Unteroffizier kurzerhand über seine Route neu und stellt sich Fragen nach seinem zukünftigen Glück. Doch die junge Schöne erweist sich als – insbesondere für ihre Zeit – verblüffend emanzipiert, und das wunderschön entwickelte Liebesgespinst mündet im letzten Drittel des Buchs in eine lebenskluge Diskussion über Sinn und Zweck der Ehe.

Der 1839 erschienene Kurzroman „Die Woche mit Sara“ von Carl Jonas Love Almquist (1793-1866) ist ein verblüffend modernes Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau und gegen die, wie Almquist es sieht, Zwänge der Ehe, die ein freiwillig gewähltes Zusammensein in einen Zustand des Muss überführe, der der Harmonie auf Dauer oft nicht gut tue. Liebe in Freiheit sei etwas anderes als bindende Verpflichtung zum Zusammenleben. Das liest sich für einen Roman der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstaunlich kühn und durchaus klug, ist aber natürlich auch diskutabel und nicht alles, was Almquist darüber ausbreitet, ist frei von Beschönigung und Naivität. Zum besseren Verständnis sei deshalb angefügt, dass im Schweden seiner Zeit die Eheschließung noch mit der Entmündigung der Frau einherging, die dem Mann fortan unterstand.

Von den „Stützen der Gesellschaft“ seiner Zeit hatte Almquist keine hohe Meinung, und seine satirischen Porträts der „oberen Zehntausend“ oder derer, die gerne zu ihnen gehören wollen, lassen noch heute ob ihrer Charakterisierungen schmunzeln. Die bessere Gesellschaft hat sich dann freilich gerächt, dem Skandal eines Romans, in dessen Mittelpunkt eine Frau steht, die Sanftheit mit Selbständigkeit paart, folgte eine breite Rufmordkampagne, die den Autor unmöglich machen und ihn auch materiell in die Knie zwingen sollte. Natürlich ging Almquist nicht in die Knie, sondern ins Exil nach Amerika, später lebte er bis zu seinem Lebensende in Bremen. Der Roman, der seinerzeit solchen Aufruhr und solche Empörung verursachte, liest sich heute noch frisch und unverstaubt.

Michael Klein

 

Fjodor M. Dostojewski – Weiße Nächte

Aus der Reihe: Bücher, die sich wirklich lohnen

Fjodor M. Dostojewski: Weiße Nächte

Diverse Ausgaben

Nach Joseph Conrads „Freya von den Sieben Inseln“ (1912) und Henry Millers „Daisy Miller“ (1878) gehen wir in der kleinen Reihe über die Liebe in klassisch gewordenen Novellen oder Kurzromanen weitere 30 Jahre zurück. Und wir wechseln zugleich noch einmal den Schauplatz.

Fjodor M. Dostojewski 1847

Dostojewski zur Zeit, als er „Weiße Nächte“ schrieb (Porträt von Konstantin Alexandrowitsch Trutowski, 1847)

Ein heißer Sommer in St. Petersburg 1848. Die Stadt liegt halbverlassen; jeder, der es sich leisten kann, ist in die Sommerfrische abgereist. Ein kontaktscheuer, 26 Jahre alter angehender und erfolgloser Schriftsteller schlendert durch die Straßen, mit den Verhältnissen vertraut, doch ziellos, ungeschäftig, für sich bleibend. An diesem Abend wird er auf eine junge, hübsche Frau aufmerksam, die verloren an einem Kanalufer ins Wasser blickt. Nach langem Zögern spricht er sie an. Beide sind sie verschlossene Menschen, doch sobald sie sich gegenseitig ihre Scheuheit gestanden haben, empfinden sie rasch Zutrauen zueinander. Es scheint ihnen, als würden sie sich schon ewig kennen.

Nastenka – so heißt die junge Frau – erzählt dem jungen Schriftsteller ihren Kummer: Vor einem Jahr hat der Mann, den sie liebt, St. Petersburg verlassen (und gleichzeitig den Kontakt zu ihr abbrechen) müssen; in diesen Tagen – so haben sie es sich versprochen – soll er zurückkehren. Das Kanalufer ist der verabredete Treffpunkt. Wird er kommen?

Jeden Abend wartet Nastenka hier; und mit ihr alsbald der junge Dichter, der aufrichtig Anteil an ihr nimmt. Das Ausmaß dieses Anteils bereitet ihm aber zügig Probleme. Kein Zweifel, er beginnt sich in Nastenka bis über beide Ohren zu verlieben. Und Versuchungen treten an ihn heran: Soll er sich wünschen, dass der Fremde nicht käme? Soll er der manchmal zweifelnden Nastenka raten, nicht länger zu warten? Und als er begreift, dass er zwischen beiden zum Vermittler werden kann – soll er es gegen sein eigenes Interesse tun?

Dostojewskis Erzählung »Weiße Nächte« – die hellen, langen St. Petersburger Sommernächte sind gemeint, und die Lebenssituation des träumerischen, scheuen, jungen Schriftstellers ist der Dostojewskis zu jener Zeit sehr ähnlich – ist eine der unvergänglichen Liebesgeschichten der Weltliteratur und eine ideale Lektüre keineswegs nur für helle, lange Sommernächte. Sie ist in verschiedenen Ausgaben erhältlich, die schöne und unverstaubte Übersetzung von Hermann Röhl aus dem Jahr 1928 gibt es heute gebunden bei Anaconda bereits für 3.95 Euro.

Michael Klein